Dienstag, 3. Oktober 2017

Persönlichkeitstheorie - Psychodynamische Persönlichkeitstheorien: Dynamische Aspekte: Trieblehre

Verhalten kommt in Gang, wenn ein Bedürfnis entsteht. Bedürfnisse entstammen "Trieben". Trieb im Sinne Freuds ist ein Grenzbegriff des somatischseelischen Geschehens. Als Mediziner war er drauf aus, für alle psychischen Vorgänge einen somatischen Ursprung zu finden. Aber sein Triebbegriff ist psychologisch konzipiert.

Triebe umschreibt Freud mit fünf Charakteristika:

- Alle Triebe entspringen einer körperlichen Quelle, z.B. den Hormonen oder bestimmten lustorientierten Körperzonen, sogenannten "erogenen Zonen".

- Triebe haben eine psychische Repräsentanz: emotional einen Affekt (z.B. Angst oder aggressive Wünsche), kognitiv eine Vorstellung (z.B. die angsterregende Gestalt des Vaters).

- Triebe haben ein Ziel: die Handlung, die einen Lustgewinn erbringt, z.B. das Saugen an der Mutterbrust.

- Allen Trieben wohnt ein Drang inne: Gemeint ist das motorische Moment, das sich in der Aktivität des Triebes äußert.

- Triebe haben ein Objekt: nämlich den "Gegenstand", an dem die Befriedigung erlebt wird, z.B. die Mutterbrust.

Das Objekt "ist das Variabelste am Trieb, nicht ursprünglich mit ihm verknüpft, sondern ihm nur infolge seiner Eignung zur Ermöglichung der Befriedigung zugeordnet".

Zunächst unterscheidet Freud vier Triebe, später nimmt er nur zwei an.

Zunächst vier Triebe

Der Sexualtrieb bezieht sich auf jede Art Lustgewinn aus Körperzonen. Die gesamte Körperoberfläche kann Lust gewähren, vornehmlich aber die sogenannten "erogenen" Zonen, etwa Mund, Anus, Genitalien. In der Frühzeit der Psychoanalyse galt der Sexualtrieb als die entscheidende menschliche Triebkraft.

Den Selbsterhaltungstrieb setzt Freud gleichrangig neben den Sexualtrieb. Insofern ist seine Trieblehre dualistisch. Sexualtrieb und Selbsterhaltungstrieb bilden keine Gegensätze zu einander.

Neben dem Sexualtrieb und dem Selbsterhaltungstrieb wird als dritte Grundkraft der Destruktionstrieb genannt; er umfasst die Neigung zu zerstören (aus Hass oder aus Gründen der Selbstverteidigung), schließt aber auch den Wunsch ein, lustvolle Erlebnisse zu begrenzen und lebendige Verläufe erstarren zu lassen. - Als ein Repräsentant des Destruktionstriebes gilt der Sadismus, der auch mit dem Sexualtrieb gekoppelt ist.

Der Aggressionstrieb hat zu tun mit Selbst- und mit Arterhaltung, aber auch mit Selbst- und Fremdvernichtung. Sexual- und Aggressionstriebe gelten als Hauptdeterminanten des Erlebens und Verhaltens.

Zuletzt zwei Grundtriebe

"Man kann eine unbestimmte Anzahl von Trieben unterscheiden, tut es auch in der gewöhnlichen Übung. Für uns ist die Möglichkeit bedeutsam, ob man nicht alle diese vielfachen Triebe auf einige wenige Grundtriebe zurückführen könne... Nach langsamen Zögern haben wir uns entschlossen, nur zwei Grundtriebe anzunehmen, den Eros und den Destruktionstrieb... Das Ziel des ersten ist, immer größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten, also Bindung, das Ziel des anderen im Gegenteil, Zusammenhänge aufzulösen und so das Ding zu zerstören"

Eros als verfügbare Energie heißt Libido. Jedem Individuum ist ein bestimmtes Quantum an Libido gegeben. Bei Freud bezeichnet Libido die Gesamtheit der Lebenstriebe im Gegensatz zum Destruktions- oder Todestrieb.  Für die Energie des Destruktionstriebes fehlt ein analoger Terminus zu Libido, der Bezeichnung für die Energie des Lebenstriebes.

Vier Triebschicksale

Triebe setzen Verhalten in Gang, sie zielen auf Bedürfnisbefriedigung. Wenn ein Trieb sein Ziel nicht geradenwegs erreicht, kann er es auf Umwegen anstreben - den sogenannten vier "Triebschicksalen":

- Verkehrung ins Gegenteil
- Wendung gegen die eigene Person
- Verdrängung
- Sublimierung.

Die beiden ersten Triebschicksale lassen sich nur in Verbindung miteinander  verstehen, das erste betrifft das Ziel des Triebes (Art der Befriedigung), das zweite das Objekt des Triebes (Gegenstand, an dem die Befriedigung erlebt wird).

Erstes Triebschicksal: Bei der Verkehrung ins Gegenteil geht es um den Übergang von Aktivität in Passivität. Beispiele: (1) Aus Sadismus wird Masochismus, aus einem Täter wird ein Opfer, aus aktivem Quälen wird passives Erleiden. Das Ziel wechselt: Befriedigung wird erlebt im Erleiden statt im Tun - (2) Aus Voyeurismus wird Exhibitionismus, aus Aktivität wird Passivität.

Zweites Triebschicksal: Bei der Wendung gegen die eigene Person geht es um einen Wechsel des Objektes, auf das sich ein Trieb bezieht. Beispiele: (1) Aus dem Sadisten wird ein Masochist. Jemand, der Lust darin findet, eine andere Person zu quälen. Das Objekt wechselt: Statt an der anderen Person wird Befriedigung erlebt an der eigenen Person. - (2) Lustgewinn durch Schau eines fremden Genitales (Voyeurist) wandelt sich in Lustgewinn durch des Zeigen des eigenen Genitales (Exhibitionist).

Meist geht mit den beiden Triebschicksalen ein Wandel des Inhaltes einher, also eine "inhaltliche Verkehrung". Beim Wechsel son Sadismus zu Masochismus wandelt sich ein beispielsweise die Selbstliebe in Selbsthass.

Drittes Triebschicksal: Verdrängung bezeichnet eine Operation, wodurch das Ich versucht, Vorstellungen, die mit einem Trieb gekoppelt sind (Gedanken, Bilder, Erinnerungen) in das Unbewusste abzustoßen. Der Umweg zu einer Befriedigung besteht darin, dass der verdrängte Impuls vom Unbewussten her vielerlei Objekte sucht, an denen er seinen Lustgewinn erreicht. Beispiel: Der fünfjährige Hans hat Angst  vor seinem Vater. Die Vorstellung Vater befreit er von dem Affekt Angst, indem er unbewusst einen Ersatz herstellt: Die Vorstellung des Vaters wird ersetzt durch das Bild eines Pferdes, mit dem Pferd kann die Angst gekoppelt. Hans entwickelt eine Pferdephobie. Befriedigung erlebt Hans, in dem er die Gegenwart des Vaters erträgt, ohne Angst zu fühlen.

Viertes Triebschicksal: Sublimierung ist ein Vorgang, bei dem Energie von sexuellen Zielen abgelenkt und in den Dienst kultureller, wissenschaftlicher, künstlerischer oder religiöser Handlungen gestellt wird, die scheinbar ohne Beziehung zur Sexualität sind.  "Als Sublimierung hat Freud hauptsächlich die künstlerische Betätigung und die intellektuelle Arbeit beschrieben". Beispiele: Der Trieb aus der frühen Kindheit, Kot zu schmieren, wird umgewandelt in die Anregung, ein Gemälde zu erstellen, der Aggressionstrieb umgelenkt in die Arbeit eines Chirurgen; diese Arbeit dem Trieb dann seine Befriedigung. "Der heilige Franciscus von Assisi mag es in der Ausnützung der Liebe für das innere Glücksgefühl am weitesten gebraucht haben"


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