Dienstag, 3. Oktober 2017

Persönlichkeitspsychologie - Vorläufige Umschreibung des Gegenstandsbereiches der Persönlichkeitspsychologie

1 Individuum, Einzigartigkeit, Persönlichkeit

Individuum bezeichnet für Psychologen die Persönlichkeit unter dem Aspekt des Einzelwesens, mit der Konnotation einer gewissen Autonomie, eines gewissen Maßes an Selbstverfügung.

- Für Philosophen bezeichnet Individuum den Menschen als Einzelwesen, sofern er sich abhebt von der Gesellschaft.

- Für Biologen bezeichnet Individuum das einzelne Lebewesen, in Einzelfällen kann es vorkommen, dass nicht eindeutig zu entscheiden ist, wo eine biologische Einheit beginnt und wo sie endet, so etwa auf niederen Lebensstufen.

Über das Moment der Einzelheitlichkeit schließt das Konzept eine weitere Bestimmung ein: Individum besagt, dass es sich um eine solche Einheit handelt, bei der sich teile als Bestimmungen eines Ganzen zusammenfügen, dass es sich also nicht um ein Aggregat beziehungsloser Elemente handelt, um eine Reihe von Dingen, die beziehungslos nebeneinander stehen Vielmehr weist Individuum oder Individualität implizit auf eie Gazeit hin, die den Teilen vorgegeben ist.

Einzigarigkeit bezeichnet die Persönlichkeit als ein Einzelwesen, das sich als solches nicht vervielfältigen lässt. Einzigartig ist ein Verhaltensmuster, sofern Merkmale nur bei einem Individuum auftreten.

Diesen Sachverhalt kann der Psychologe auf zwei entgegengesetzte Weisen zu beschreiben versuchen.

Die erste Art der Beschreibung stellt ein Individuum dar unter dem Aspekt seiner Vergleichbarkeit mit anderen Individuen. Ein Individuum wird beschrieben mit Merkmalen, die auf viele Individuen zutreffen, das heißt mit generellen Merkmalen: Beispiele sind Intelligenz, Konzentration, Leistungsmotivation. Jedes Merkmal wird dem Individuum in einem bestimmten Ausprägungsgrad zugesprochen (etwa Intelligenz in der Höhe eines Intelligenzquotienten von 117).

Wird die Position eines Individuums auf vielen generellen Merkmalen angegeben, so lässt sich ein Merkmalsprofil erstellen.

Die zweite Art der Beschreibung stellt ein Individuum dar unter dem Aspekt seiner Unvergleichbarkeit, unter dem Aspekt also, unter dem es sich von anderen Individuen unterscheidet. Diesen Dienst leisten spezielle Merkmale. Spzieller Natur in dem gemeinten Sinne sind Merkmale dann, wenn sie nur auf wenige Individuen – nein, wenn sie nur auf ein Individuum zutreffen.Gibt es Beispiele solcher Merkmale? Ja, wiederum: „Intelligenz, Konzentration, Leistungsmotivation“ - aber in diesem Falle so versanden, dass sie nur einem einzigen Individuum zukommen.

Die Beispiele verdeutlichen jedoch: Auch die zweite Art der Beschreibung ist angewiesen auf allgemeine Merkmale; aber sie versucht, die Allgemeinheit so einzugrenzen, dass ein Merkmal im Idealfall – nur auf ein Individuum passt.

Konkrete biographische Angaben, die zu allgemeinen Merkmalen hinzutreten, sollen die „Generalität“ im Einzelfalle beschränken, eingrenzen, einengen. Solange die Merkmale jedoch allgemeine Begriffe bleiben, können sie den Einzelfall nicht erschöpfend beschreiben. Es handelt sich also um einen Versuch, asymptotisch der Einzigartigkeit näherzukommen. - Ein Beispiel ist die Charakterisierung einer Person durch ein Gutachten.

Es haben sich zwei Stichwörter eingebürgert, um die beiden Beschreibungsarten zu unterscheiden:
  • Die erste Beschreibungsart verwendet allgemeine Merkmale; sie heißt nomothetisch. Nomothetisch heißt ein Beschreibungsmodus, der, um Menschen zu kennzeichnen, alleine Gesetzmäßigkeiten verwendet – in unserem Beispiel „allgemeine Merkmale“.

  • Die zweite Beschreibungsart zielt auf spezielle, eng umschriebene Merkmale, sie heißt idiographisch. Idiographisch heißt darum ein Beschreibungsmodus, der den Einzelfall zu erfassen sucht, indem er die dem einzelnen anheftenden Eigentümlichkeiten benennt.

Die Persönlichkeitsforschung insgesamt erscheint weder einseitig idiographisch noch einseitig nomothetisch orientiert. Dagegen stehen einzelne Forscher einem von beidien Polen jeweils näher.

Da Persönlichkeit von den Konzepten Individuum und Einzigartigkeit her bestimmt wurde – in dem Einleitungssatz zu Teil A – Muss nun eigentlich geklärt sein, was der Begriff besagt: Persönlichkeit lässt sich auffassen als der Inbegriff der einzigartigen Verhaltensweisen eines Menschen, die sich in unterschiedlichem Grade als individuell beschreiben lassen; eingeschlossen ist die Vorstellung, dass alle leib-seelischen Vorgänge, alle bewussten oder unbewussten Tätigkeiten, alle Prozesse oder Zustände dieses Menschen sich zu einer Einheit integrieren, dass sie sich auf ein Ich beziehen und – dies sei hinzugefügt – dass sie eine relativ konstante, aber eine dynamische Ganzheit bilden.

Zu den Koonnotationen, vielleicht sogar zu Denotationi von Individuum, Einzigartigkeit und Persönlichkeit gehört die Idee der Selbstorganisation – diese Idee umschreibt ein gewisses Maß an Spontaneität. Diese Eigenart sei zuerst negativ, dann positiv erläutert:

  • Negativ besagt die Spontaneität, dass die Persönlichkeit zwar in Abhängigkeit zu ihrer Umwelt steht, dass sie aber von der Umwelt nicht vollständig festgelegt wird, dass sie auf Umwelt nicht nur reagiert.
  • Positiv besagt die Spontaneität, dass Persönlichkeit von ihrer Umwelt zwar angeregt wird, dass sie ihr Handeln jedoch auch bestimmt, dass Persönlichkeit demnach ein Zentrum bewussten und reflexiven Handelns einschließt.

Empirisch-psychologisch kann Persönlichkeit erforscht und dargestellt werden aufgrund sehr verschiedener Methoden – Methoden, die sich ergänzen, einander jedoch auch ausschließen können. Darum bestimmt die Methodenwahl eine Entscheidung darüber mit, wie Persönlichkeit definiert und theoretisch interpretiert wird. Schon wegen der Vielfalt der Methodenwahlen gibt es in der Psychologie keine allgemein angenommene Definition der Persönlichkeit.

Ebenso vieldeutig wie drei Begriffe „Individuum, Eingenart, Persönlichkeit“ sind auch die Rahmenbegriffe, denen sie zugeordnet sind: „Empirische Wissenschaft“ und „Psychologie“. Ihr Bedeutungshof sei knapp umschrieben.

Empirische Wissenschaft

Wissenschaft beginnt „dort, wo das zuvor Selbstverständliche zum rationalen Problem, zum Gegenstand des systematischen Nachdenkens wird“, dort also, wo ein Mensch nicht nur tätig, sondern auch sein Tun zum Gegenstand des Denkens macht. Gemeint ist jener Vorgang, in dem ein Mensch als Subjekt sein Tun, darin auch sich selbst zum Objekt mach – es geht um Reflexion, die als kritische Tätigkeit das reflektierende Subjekt mit einbezieht.

Zur Wissenschaft gehört System – Zusammenschau und Zusammenstellung. Nicht zur gelegentlich oder zufällig werden Erfahrungen gemacht und geordnet, sondern systematisch und regelhaft werden Erfahrungen fixiert, geordnet, mit den anderen Erfahrungen verglichen. Solche Tätigkeit umfaßt:

  • Klassifizieren, also die Aufgabe, gleiche Gegenstände gleichen Aussageklassen zuzuordnen.
  • Beschreibung korrelativer Zusammenhänge, also die Aufgabe, Aussagen zu formulieren von der Art: „Immer dann, wenn“.
  • Beschreibung kausaler Zusammenhänge, also die Aufgabe, Sätze zu bilden von der Art: „Weil, darum“.
  • Beschreibung finaler Zusammenhänge, also die Aufgabe, Feststellungen zu trefen, die besagen: „Damit, deswegen“.
Als Wissenschaft gilt nicht jede Art von Wissen, das reflektiert und systematisch vorgelegt wird. Als Wissenschaft gilt nur, was von Wissenschaftlern anerkannt wird – Wissenschaft beruht auf intersubjektivem Konsens. „Es scheint mir, dass... die gemeinsamen Züge der wissenschaftlichen Methode sich.... anknüpfen lassen an... die Forderung der Kontrollierbarkeit, …. die Kontrolle durch … Leute, die Urteil haben“.

Was als wissenschaftliche Aussage gelten soll, geht eine Öffentlichkeit an. Wer wissenschaftliche Sätze aufstellen will, muss sie der „Kritik durch andere“ aufsetzen. Diese Forderung beruht auf der Annahme, dass kollegiale Urteile garantiere die Wahrheitsfindung verlässlicher als der individuelle Erkenntnisakt. Einen Sachverhalt dem kritischen Urteil „der anderen“ anzubieten heißt, ihn dem Risiiko des Scheiterns auszusetzen. Methodisch ergibt sich daraus die Forderung, Gegenstände der Wissenschaft „kritisierbar“ zu formulieren.

Persönlichkeitspsychologie versteht sich als empirische Wissenschaft. Die Daten, von denen sie ausgeht, sich demnach Sinnesdaten: dem Auge, dem Ohr, dem Tastsinn usw. zugänglich, oft erst dank der Vermittlung von Apparaten. Wenn diese Daten auf verschiedenen Abstraktionsebenen reflektiert und systematisiert worden sind, der Kritik von „Person mit Urteil“ standgehalten haben, dann müssen sich die konsequenzen wieder in Sinnesdaten nachweisen lassen.

Erhebung von Systematisierung von Sinnesdaten folgt Gesetzen und Regeln, die ihrerseits nicht empirisch zu rechfertigen sind. So müssen Aussagen widerspruchsfrei sein, sie müssen in einem Begründungszusammenhang stehen. Die Regeln, die dieser Forderung zugrundeliegen, lassen sich empirisch nicht mehr „begründen“. Denn jede Aussage über empirisch Sachverhalte stützt sich schon auf solche Regeln und Gesetze, setzt ihre Gültigkeit also voraus.

Manche Sätze, die zuerst nur einem Kreis von Wissenschaftlern bekannt waren, sind Teil des Allgemeinwissens geworden, meist ohne ihren streng wissenschaftlichen Charakter zu bewahren, etwa Sätze der Medizin über Infektion. Als Teil des öffentlichen Gewussten verändern solche Sätze das Leben. Auffällige Auswirkungen auf das Leben hat die Verbindung von Wissenschaft und Technik gebracht: Industrialisierung mit ihrer Auswirkung auf Baustil, soziale Struktur, individuelles und öffentliches Bewusstsein. - Beispiele für die Ambivalenz solcher Auswirkungen sind in unseren Tagen Kernenergie und Atomindustrie.

Psychologie

Psychologie wird umschrieben als empirische Wissenschaft vom Verhalten. Verhalten sind dabei als eine erste Gegebenheit verstanden, ist darum nicht im strengen Sinne definierbar. Wer bestiimmen will, was Verhalten besagt, verweist auf bestimmte Sachverhalte – etwa Sehen, Hören, Wahrnehmen, Problemlösen – und nennt sie Beisiele fr Verhalten.

Charakterisiert wird Verhalten durch seine Öffentlichekeit. Verhalten ist nur, was der Beobachtung zugänglich ist, der intersubjektiven Kontrolle unterworfen. Die Frage, was Verhalten sei, wird damit verschoben zu der Frage hin, was beobachtbar, was intersubjektiv kontrollierbar sei. Psychologie lässt sich dann umschreiben als Wissenschaft von solchen Sachverhalten, die beobachtbar sind, das heißt von Sachverhalten, über die intersubjektives Verständnis herstellbar ist.

Wir rechnen zum Verhalten beides:
  • Was mehreren Beoachtern gleichzeitig zugänglich ist, gleichsam die Außenseite des Verhaltens, aber auch,
  • Was jeweils nur dem einzelnen gegeben ist, also die Erlebnisanteile des Verhaltens, nur erfassbar durch Introspektion, anderen Beobachtern aber mitteilbar durch Äußerung über Erlebtes.

Psychologie umschreiben wir folglich als Wissenschaft vom Verhaltens und Erleben – eine Umschreibung, die das herkömmliche Konzept wiedergeben dürfte.

Jedoch – Die Vielfalt, Gegensätzlichkeit, auch Widersprüchlichkeit dessen, was als Psychologie gilt, wird aus dieser Umschreibung nicht erkennbar. So wenig wie das, was wir Wissenschaft nennen, ist die Psychologie ein einheitliches System. Darum legefn sich einige Abgrenzungen und Ergänzungen nahe.

Psychologie ist die Wissenschaft von jenen Verhaltensaspekten, die innerhalb geschichtlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen als relevant und methodisch erfaßbar erscheinen. Es handelt sich um Verhaltensauschnitte, die in einer gegebenen Epoche als kontrollierbar gelten. Es geht um Verhaltensaspekte, die im Laufe eies bestimmten Entwicklung, aus den verschiedensten Gründen, abgegrenzt wurden – etwa Leistungsverhalten in eienr Leistungsgesellschaft.

Die Psychologie ist weder die einzig mögliche noch die beste Verhaltenswissenschaft – Soziologie und Politologie sind ebenso richtige Verhaltenswissenschaft, von ihnen hebt sich die Psychologie nach Schwerpunkten ab, ist jedoch kaum von ihnen eindeutig abgrenzbar.


Reflexion: Was ist Persönlichkeitspsychologie

Psychologische Aussagen werden gesammelt, die ein Individuum kennzeichnen, sofern es ein einzigartiges Verhalten erkennen lässt, ein Verhalten das über Situationen, die sich ergeben sollen empirisch begründbar sein und - zusammen genommen - ein System bilden, das als Wissenschaft anerkannt wird.

Persönlichkeitspsychologie zielt darauf, Individuen in ihrer Einzigartigkeit zu erfassen. Dieses Ziel schließt den Versuch ein, Individuen voneinander abzuheben. Um diesen Aspekt herauszustellen, wird die Disziplin auch "Differentielle Psychologie" genannt. William Stern hat die Bezeichnung geprägt. Zwischen Individuen, meist Gruppen von Individuen (Etwa Frauen und Männern, Introvertierten und Extraverierten) werden gesetzhafte Differenzen ermittelt und, wenn möglich bebildet.
- Unterschied und Gleichheit lassen sich interindividuell fassen: Individuen oder Gruppen werden mit anderen Individuen oder Gruppen verglichen.

- Unterschied und Gleichheit lassen sich auch intraindividuell verstehen: Verhaltenssequenzen desselben Individuums in einer Situation, zu einem Zeitpunkt werden verglichen mit Sequenzen in anderen Situationen, zu anderen Zeitpunkten.

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