Dienstag, 26. September 2017

2. Woche: Jetzt haben, später zahlen - Die seelischen Folgen der Konsumgesellschaft


"Die Konsumgesellschaft ist das erste Experiment der Geschichte, in dem jedem Individuum versprochen wird, es habe das Recht, über seine Verhältnisse zu leben." Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer tritt in seinem neuen Buch "Jetzt haben, später zahlen" mit dem Instrumentarium seines Fachs als Prediger in der Wüste gegen unseren fragwürdig gewordenen Fortschritt und gegen unseren bedenkenlosen Verbrauch der Ressourcen dieser Erde auf. Das ist nicht neu, doch seine Methode ist schlüssig.

Unsere Utopien seien an Grenzen geraten, die so schmerzlich sind, daß sie von den meisten verdrängt oder verleugnet werden, meint er. Regression ist der in der Psychoanalyse gebräuchliche Begriff für einen Zustand des Zurückfallens hinter einen bereits erreichten Entwicklungsstand. Schmidbauer sieht im Konsumverhalten der Mehrheit eine destruktive Regression, die in der Warenwelt erwünscht, ja geradezu gefordert ist. Bedürfnisse werden geweckt und ihre Erfüllung mit Glücksversprechungen verbunden. Der ideale Konsument regrediert zu einem kindlich fordernden Verhalten; er ist süchtig danach, so bequem wie möglich - mit Knopfdruck oder Kreditkarte - ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen. "Aber noch nie hat eine ganze Kultur den Zugang zum Luxus als Dauerzustand und als Ziel aller Mitglieder akzeptiert."

Es gibt keinen Genuß ohne Reue, wie es die Werbung verspricht. Zigaretten, für die gebräunte, gutaussehende junge Leute werben, können Lungenkrebs verursachen. Doch wem die attraktive, rauchende Jeunesse dorée zum Leitbild geworden ist, der ignoriert die nachgewiesenen Zusammenhänge. Das Risiko wird hingenommen, die Unverantwortlichkeit geleugnet.

Schmidbauer hat schon in anderen Büchern Einsicht und Askese gefordert ("Weniger ist manchmal mehr" oder "Der Kult des Überflusses"). Hier tut er es mit größerem Nachdruck, indem er "Die seelischen Folgen der Konsumgesellschaft" - so der Untertitel - beschreibt: narzißtische Störungen, die bereits bei Kindern auftreten. Kinder, die ihre Umwelt als feindlich und gefährlich erleben, "zappen" sich auf dem Bildschirm eine andere Wirklichkeit herbei. Sie folgen jedem modischen Spleen, weil ihnen damit Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder eine Stärkung ihres Ichgefühls bestätigt wird.

Was wir brauchen, so Schmidbauer, seien Vorbilder, die bereit sind, gelegentlich auch Unlust und Mühsal in Kauf zu nehmen, die bewußt mit weniger auskommen als andere und sich damit unabhängiger fühlen. Ausdrücklich bezieht er sich auf Thoreaus rückwärtsgewandte Utopie "Walden". Der amerikanische Philosoph hielt seinen "zivilen Ungehorsam" gegen die Strömungen seiner Zeit in einer selbstgebauten Holzhütte zwei Jahre aus. Ob die von Schmidbauer vorgeschlagene Selbstbeschränkung wohl länger durchgehalten würde?

Wenn es nach ihm ginge, dürfte jeder nur so viel Energie verbrauchen, "wie er selbst mit umweltverträglichen Mitteln produziert. Wer den Strom erschöpft hat, den sein Anteil an der kommunalen Solaranlage spendet, muß auf ein Fahrrad steigen und den Rest selbst erzeugen. Die schweißtreibende Muskelarbeit in den Fitneßzentren ist so kostbar, daß an jedem Gerät ein Dynamo hängt, der die erzeugte Kraft in speicherbare Energie verwandelt." Unter diesen Bedingungen würde es in unserer Wirtschaft außer für Fitneßzentren kaum noch Wachstum geben. Abgesehen von solchen eher skurrilen Spinnereien, regt Schmidbauer wieder einmal zum Nachdenken an, auch darüber, was "eine zeitgemäße Askese" ist".

Samstag, 16. September 2017

1. Woche: Führer, Narren und Hochstapler - Die Psychologie der Führung

Wer sich gerne mit der Persönlichkeit von Führungspersonen und Gefolgen auseinandersetzen möchte, dem sei das Buch empfohlen.

Führungspersonen spielen sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft eine bedeutende Rolle; ein guter Politiker wie Abraham Lincoln kann selbst ein zerstrittenes Land vereinen und die damals für vielen Menschen moralisch nicht verwerfende Sklaverei abschaffen.

Erfolgreiche Führungspersonen sind das Vorbild, das nur zu gerne von seiner Gefolge idealisiert wird. Geführte schreiben ihrem Führer oftmals unrealistische Kräfte und Eigenschaften zu; dies gibt ihnen auch die Möglichkeit, sich stärker und beschützt zu werden. Dieser Phänomen ist ein Echo aus den frühen Lebensjahren, in denen das Kind von einer allmächtigen und perfekten Mutter bzw. Vater behütet werden will.

Wer aber als Führer warum auch immer den Sinn für die Realität verliert, dessen Unternehmen wird sich früher oder später auf dem Abgrund des Bankrottes finden, wenn niemand sich traut ihm die Wahrheit vor Augen zu legen. Die Narzissmus eines ansehenden Führers erlaubt ihm nun mal nicht seinen Fehler einzusehen. An dieser Stelle braucht jeder Führer den einen Narr, der im Gegenteil zu der Gefolge noch in der Lage ist, die Situation objektiv zu betrachten und ihm die ehrliche Meinung zu sagen.

Der Narr ist zudem so unersätzlich mit seinem Humor, weil er sich selbst nicht ernst nimmt. Ein Spaßvogel, der sich selbst entwertet ist für sozialen Grenzen immun und wird sozusagen zum Hüter der Wahrheit. Die Macht des Führer ist der Meinung des Autors nach auf die Torheit des Narren angewiesen und ihre gemeinsame Interaktion hält sie beide im psychischen Gleichgewicht. Der Humor ist in diesem Fall hervorragend geeignet, den Hochmut von Führungspersonen ins Licht zu rücken und so die Tabuthemen anzusprechen. 

Wer in seinem Lebenslauf viel Erfolge aufzuzeichnen hat, dem muss man nicht immer außergewöhnliche fachliche Kompetenz zuschreiben. So haben z.B Hochstapler seit Menschengedenken die Öffentlichkeit fasziniert. Liest man Autobiographien von berühmten Hochstaplern, so erkennt man oftmals einen unübersehbaren Muster: Hochstapler durchleben nicht selten keine richtige Kindheit und muss die Position und Verantwortung des fehlenden Vaters bzw. Mutter übernehmen. Um diese Position und Verantwortung zu wahren, kann ein Kind eine erstaunliche Verstellungskunst an den Tag legen, und zwar insbesondere die Fähigkeit, erwachsendes Verhalten zu imitieren. 

Hochstapler erhalten dieses Talent zur Verstellung bis ins Erwachsenenalter hinein lebendig und lernen, sich sehr geschickt ihr Publikum abzustimmen. Adolf Hitler ist u.a ein perfektes Beispiel für Hochstapelei, dessen Kindheit alles anders als friedlich verlief. 

Der Umgang mit der Hochstapelei ist äußerst schwierig, da ein Hochstapler unsere Gier sehr gezielt anspricht. Das Entlarven eines Hochstaplers dauert zu lang und bis er auffliegt, hat der Hochstapler wahrscheinlich schon eine Menge Schaden errichtet. Wir alle sind Opfer unserer negativen Gedanken und Selbstzweifel und sind daher sehr anfällig für einen Hochstapler. Die Entwicklung der Fähigkeit zur Selbstreflexion und des Bewusstseins für die eigenen blinden Flecken kann prophylaktisch wirken und uns sowohl vor der faszinierenden Anziehungskraft des Hochstaplers schützen als auch vor den paralysierenden Folgen des Gefühls, selbst ein Hochstapler zu sein.